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Eine Strickjacke, fünf Cupcakes, ein großer Film



Die Strickjacke eigentlich nur angezogen, weil ich solche Lust auf sie hatte, viel zu warm draußen für Wolle. Sie schon nach den ersten Schritten wieder ausgezogen, ist das schwül, und sie über den Kinderwagen gehängt. Rumgelaufen mit Fanny, ein paar Straßen rauf und runter, die ich nicht kannte, obwohl sie gar nicht weit weg sind, merkwürdig, dass man immer die gleichen Kreise zieht. Ein bisschen abgelenkt gewesen die ganze Zeit, an der Kita vorbeigekommen, in der wir am Dienstag ein tolles Gespräch hatten, so eine Kita, in die man reinkommt und denkt: hier kann ich mein Kind lassen. Fanny hat noch nie einen Fremden umarmt, und plötzlich krabbelt sie zur Erzieherin, guckt sie an, zieht sich an ihr hoch und legt ihren Kopf auf ihre Schulter. Auf dem Rückweg eine SZ und die Instyle gekauft, das Kind ist eingeschlafen, und ich werde bei diesem Cupcake-Laden anhalten, den ich gestern entdeckt habe, und eine halbe Stunde lesen und Mokka-Cupcakes futtern, dann sehe ich beim Bezahlen: die Jacke ist weg. Die Strickjacke, in der ich die letzten fünf Jahre gewohnt habe. Die Jacke, die ich sogar bei Fannys Geburt anhatte. Wegwegweg. Alle Straßen noch einmal abgegangen, den ganzen Weg wieder zurück. Keine Jacke, nirgendwo. So traurig gewesen, dass ich sofort zwei Cupcakes gefressen habe, und dann nochmal zwei, und dann noch einen, mich trotzdem kein bisschen besser gefühlt.

Und dann. Mit dem Fahrrad zum Kino gefahren, das erste Mal Fahrradfahren seit anderthalb Jahren. Wenn ich noch einmal schwanger wäre, würde ich mir das Fahrradfahren nicht verbieten, habe ich auch eigentlich nur, weil irgendwann im Fernsehen mal dieser Film mit Heike Makatsch lief, in der sie schwanger mit dem Fahrrad stürzt und ihr Baby verliert. Danach konnte ich nicht mehr Fahrrad fahren. Vorm Kino noch ein Papphaus für Fanny gekauft, kaum sind wir zu zweit, vermissen wir sie auch schon wieder. Jetzt aber Kino. Beginners.

Ich könnte jetzt noch heulen, über diesen Film, diesen Regisseur, der seine eigene Geschichte erzählt. Nicht einmal, weil er so traurig war, eher aus Rührung. Gerührt darüber, dass ein anderer Mensch tatsächlich genau das Gleiche denkt und fühlt wie man selbst. Diese seltsame Melancholie, die manchmal einfach da ist, sich über einen legt wie ein schwerer Wintermantel, selbst wenn man glücklich ist. Diese seltsame Skepsis dem Glück gegenüber, als hätte man es nicht verdient. Der Film. Bindungsunfähiger Grafiker findet nach dem Tod seiner Mutter heraus, dass sein Vater eigentlich schwul ist. Oder: Schon immer schwul war, über 40 Ehejahre lang. Der Vater verliebt sich und findet sein Glück, lebt endlich so, wie er immer wollte, jetzt, wo es zu spät ist, der Krebs zerfrisst seinen Körper. Nach dem Tod des Vaters verliebt sich auch der bindungsunfähige Grafiker. In eine bindungsunfähige Schauspielerin, aber es ist noch zu früh, die Traurigkeit schnürt ihm das Herz zu. Und doch: ein Film über das Glück, das Albernsein, das Loslassen, das Ankommen. Ein lustiger, süßer, irrsinnig warmer, trauriger Film. Drei Eisberge, die einander auftauen und endlich zu lieben (und leben) beginnen. Ein Film über die Liebe zwischen Mutter und Vater, Eltern und Kindern, Mann und Mann, Mann und Frau, Mensch und Hund. Und seine Hand in meiner und als wir rauskommen riecht es nach Regen.