UNGEFRAGT
Pst. Pssst.
Nein, nicht jetzt.
Ach, du weißt schon, was ich dir sagen will?
Natürlich weiß ich das. Du bist mein schlechtes Gewissen, ich kenn dich nur zu gut.
Dann kann ich ja wieder gehen.
Nee, ehrlich, wenn du so auf beleidigt machst, bist du noch viel schlimmer zu ertragen. Du verschwindest doch sowieso nicht, bis ich mir anhöre, was du zu sagen hast. Also fang schon an.
Wir sind aber empfindlich heute.
Stimmt, sehr empfindlich. Müde und empfindlich. Gemeine Mischung.
Und sauer auf dich selbst.
Vor allem sauer auf mich selbst. Weil mir die guten Sätze immer erst hinterher einfallen. Weil ich die Klappe gehalten habe, statt einfach mal zu sagen, was ich denke.
Nicht so schnell. Wie war das genau.
Entschuldige. Ich hab zufällig diese Frau wiedergetroffen, die ich eigentlich ganz gerne mag, ihre Tochter ist so alt wie meine Tochter. Wir haben einen Kaffee getrunken und über unser Leben geredet.
Klingt doch ganz nett.
War es auch. Bis ich erzählt habe, dass das letzte Wochenende echt anstrengend war, weil Fanny Fieber hatte und nur geweint hat und völlig durch den Wind war und überhaupt nicht schlafen wollte und nicht angezogen und nicht ausgezogen werden wollte und nicht essen und auch sonst eigentlich überhaupt gar nichts wollte. Ich bin so müde, sagte ich, wenn sie wenigstens mal durchschlafen würde. Wie, sagte sie, DEIN KIND SCHLÄFT NICHT DURCH? Wie alt ist sie jetzt, EIN JAHR? Meine Tochter schläft schon seit Monaten durch, SEIT MONATEN, jede Nacht von halbacht bis halbacht, ohne jedes Problem.
Kann dir doch egal sein.
Könnte es, da hast du recht. Sollte es sogar. Aber du hättest ihren Blick sehen müssen. Als hätte sie mich gerade als Ladendiebin enttarnt.
Da stehst du doch drüber.
Am Anfang schon. Bis sie mir erklärt hat, dass ich selbst schuld bin. Weil Fanny bei uns am Bett schläft und manchmal auch bei uns im Bett, statt in ihrem eigenen Zimmer zu liegen. Dann würde sie nämlich schon längst durchschlafen.
Weißt du nicht am besten, was gut für dein Kind ist?
Natürlich. Und trotzdem. Diese Frau ist ein bisschen wie du, ich will das alles nicht hören, weghören kann ich aber auch nicht.
Und dann?
Hat sie mir erzählt, wie total supertiefenentspannt ihr erstes Jahr mit Kind war. Ihre Tochter hat NIE gemault, NIE geweint, die war NIE anstrengend, die war ein TRAUM, nonstop, eigentlich könnte sie gleich das nächste Kind machen, so easy wie das ist. Dann hat sie mir gezeigt, was ihre Tochter schon alles kann. Die kann nämlich schon Tiere nachmachen. Guck mal, hat sie gesagt, Luise, mach mal den Fisch. Und die Biene, wie macht die Biene? Und der Hase, Luise, der Hase, DER HASE, LUISE, genau. DAS IST DER HASE. Alles nur eine Frage der Übung, solltest du auch mal machen.
Kann sie auch den Vogel? Den könnte sie ihrer Mutter wirklich mal zeigen.
Du bist lustig. Du bist nie lustig. Und viel zu nett bist du heute auch, was ist los mit dir?
Auch wenn es manchmal nicht so aussieht: Ich bin auf deiner Seite. Ich will dir eigentlich nur dabei helfen, ein bisschen klarer zu sehen.
Und was siehst du?
Du bist verunsichert. Und das ist bescheuert und völlig unnötig. Weil du glücklich bist mit deinem Kind. Und dein Kind die meiste Zeit ziemlich glücklich aussieht. Es gibt keinen Grund, sich von irgendwelchen Supermuttis erzählen zu lassen, was du angeblich alles anders machen musst. Erstens geht sie das alles überhaupt nichts an. Zweitens glaube ich nur die Hälfte von dem, was sie da
erzählt, wenn überhaupt. Drittens solltest du ganz allein auf dich hören, damit bist du die ganzen letzten Monate doch ziemlich gut gefahren, nicht wahr?
Wenn das alles so klar ist, warum bist du dann da, schlechtes Gewissen?
Weil du dir die ganze Zeit diese Frage stellst.
Wieso ich die Klappe gehalten habe? Ihr nicht gesagt habe, dass sie eine Panflöte ist und Kindererziehung nicht olympisch?
Die Antwort darauf weißt du selbst: Weil du höflich sein wolltest, weil du dachtest, das ist es nicht wert, weil du keine Lust hattest auf eine Diskussion und ein bisschen feige warst. Nicht schön, aber auch nicht so dramatisch. Ich meinte eine andere Frage. Du weißt schon welche.
Ich weiß, was du meinst. Aber das ist nicht so einfach.
Es ist aber wichtig. Raus damit. Sei nicht schon wieder feige.
BinicheineguteMutter.
Ich hab dich nicht verstanden.
Bin ich eine gute Mutter?
Was tut so weh an dieser Frage?
Dass ich die Antwort eigentlich weiß. Und sehen kann, jeden Tag. Dass ich glücklich und angekommen bin, dass ich es liebe, eine Mutter zu sein, dass alles ganz automatisch passiert und sich gut anfühlt und richtig und schön. Und es trotzdem nur eine einzige Supermami braucht, damit ich mich frage, ob ich wirklich alles richtig mache oder nicht doch alles falsch. Ich bin sonst nicht so umwerfbar. Ich möchte nur so gern alles richtig machen, weißt du? Ich liebe dieses Kind so sehr.
Was ist denn wohl das Beste, das du machen kannst?
Auf mein Gefühl hören. Nicht auf die Panflöte.
Und was fühlt sich richtig für dich an?
Eigentlich alles. Auch ganz ohne eigentlich. Alles.
Da hast du doch deine Antwort. Und ich endlich meine Ruhe. Ich geh dann mal.
Gute Nacht. Ach, eines noch.
Ja, was denn?
Erinnerst du mich hin und wieder an die Antwort, wenn ich mal wieder so einen Panflöten-Tag habe?
Ehrensache. Und jetzt schlaf. Du kannst es gebrauchen.
Ich danke dir. Komm nicht so schnell wieder.