SLOMO

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20 MONATE


Liebe Fanny,

wo fange ich an? Vielleicht bei diesem Moment vorhin. Du hast auf dem Esstisch gesessen, Dir die Salzdose geschnappt, sie aufgedreht und das Salz großzügig über den Tisch verteilt. Du warst sehr konzentriert dabei. Als Du fertig warst, hast Du in die Hände geklatscht und "mmmmmmmh" gesagt. Dein Papa hat mitgeklatscht und "der Tisch musste sowieso mal gesalzen werden" gesagt, Du hast "mehrmehrmehr" gesagt und mehrmehrmehr Salz auf dem Tisch verteilt, dann hast Du Dich zu mir gedreht und "Tisch, mmmmmh" gesagt. Du und das Salz und der Tisch und Dein Papa und die Riesensauerei, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich ich in diesem Moment war. Wie schön es ist, Dir dabei zuzusehen, wie Du Dich freust. Es gibt nichts zwischen Dir und der Freude, weißt Du? Wenn Du Dich freust, bist Du nur Freude. Und Du freust Dich über so vieles. Du freust Dich, Salz zu verstreuen. Dein Messer in die Butter zu tauchen und Dein Brot zu schmieren, ganz alleine. Die Seite in "Gute Nacht, Gorilla" aufzuschlagen, wo alle Tiere "Gute Nacht" sagen, Du kannst Dich gar nicht einkriegen, wenn ich mit ganz hoher und ganz tiefer Stimme "Gute Nacht" sage, auch nicht nach dem fünfzigsten Mal. Alle Socken aus dem Korb zu räumen. Bär eine Windel zu machen. Die Pizza mit Käse zu bestreuen. Dich im Schrank zu verstecken. Eis zu essen. Den Wasserhahn auf- und wieder zuzumachen. Zu rutschen. Du freust Dich jedes Mal so sehr, wie man sich freut, wenn man etwas zum ersten Mal tut. Du schaffst es, ich weiß nicht wie, Dinge immer wieder zum ersten Mal zu machen, Fännchen.

Es ist aber nicht nur schön, Dir zuzusehen, wie Du Dich freust. Es ist auch schrecklich heilsam. Letzte Woche, der Himmel über Berlin war so grau wie meine Laune, bist Du auf den Balkon gerannt, als es angefangen hat zu regnen. Du hast Deine Hand ausgestreckt und sie in den Regen gehalten, Du hast "nass" gesagt und "Tropf, Tropf". Du hast jedem Tropfen nachgelacht, der auf Dir gelandet ist. Dann hast Du meine Hand genommen und sie in den Regen gehalten. So ist das mit Dir, Fanny. Du bringst mir mindestens so viel bei wie ich Dir. Wie das geht mit dem sich Freuen. Mit dem Regen und dem Leben, zum Beispiel.

So wie Du Dich freust, bist Du übrigens auch sauer. Du bist so gründlich sauer, dass wir uns manchmal umdrehen müssen, damit Du nicht siehst, wie wir beide grinsen, während Du in hohem Bogen Deinen Teller auf die Erde schmeißt. Weil ich mich erdreistet habe, Dir ein Stück Gurke auf Deine Gabel zu spießen. Deine Gurke. Mit Deiner Gabel. Von Deinem Teller. Von null auf Tellerwurf schaffst Du es in zwei Sekunden, Fanny. Dazu legst Du Deine Stirn in "Ich bin sauer"-Falten. Und es sind haargenau die gleichen "Ich bin sauer"-Falten, die ich auch immer habe, wenn ich mich ärgere. Kannst Du mir sagen, wie ich es da hinkriegen soll, streng zu gucken, wenn ich Dir sage, dass man Essen nicht auf die Erde wirft? Wie ich sie liebe, Deine Mama-Stirn. Gleich über Deiner Papa-Nase.

Noch mehr kleines, großes Glück: Wie Du Deinen Papa an die Hand nimmst, wenn er Dich ins Bett bringt, Euer heiliges Ritual. Wie Du am rechten Ellenbogen nach Vanillepudding riechst (wie irre ist das denn?). Wie Du Dich bei Deinem Papa empört über mich beschwerst und dafür nur zwei Worte brauchst, "Papa, MAMA!". Wie Du Dich manchmal (und nie, wenn ich es gerade so gerne möchte) an mich schmiegst, wie Du Deine Arme um meinen Hals wickelst und Deinen Kopf in meine Halskuhle gräbst. Und Dein Kinderkopfduft. Wie Du Dich nach dem Aufwachen noch anschmiegst, zehn Minuten, manchmal länger, Deinen bettwarmen Körper, bevor Du wach bist und nicht mehr geschmust werden willst, jedenfalls nicht andauernd. Wie Du auf mich zu rennst, wenn ich Dich vom Kindergarten abhole. Wie Du manchmal vorm Einschlafen Rede-Flashs hast, Fanny-Monologe, lange, aufgeregte Geschichten, alle paar Worte sagst Du Kita und Bär und Rutsche und Papa, dann schläfst Du ein. Wie sehr Du Essen liebst, Du probierst einfach alles. Deine Hartnäckigkeit, Du gibst nie auf, nie, niemals, wenn Du etwas haben oder machen willst. Wie Du schnarchst. Wie Du mir Deine Hand hinhältst, damit ich puste, wenn Du Dir weh getan hast. Wie Du meinen Finger gepustet hast, als ich mich geschnitten habe vor ein paar Tagen. Und wie Du dann auch ein Pflaster wolltest, genau auf die gleiche Stelle.

Liebstes Fännchen, falls das Leben Dich mal ärgert, falls Du einen doofen Tag oder eine doofe Woche hast, falls es draußen (oder im Herzen) mal regnet: Denk an das kleine Mädchen, das auf dem Balkon steht und seine Hände nach den Tropfen ausstreckt. Es hilft gegen alles. Ich schwöre.

Deine Mama