23 MONATE
Liebe Fanny,
heute morgen wollte ich die Tafel abwischen, auf der wir immer notieren, was gerade einzukaufen ist, Spültabs, Ketchup und Kaffee stand da, und ein bisschen tiefer, darunter, eine 1, eigentlich nur noch zu erkennen, wenn man weiß, was da einmal gestanden hat. Heute vor genau zwei Jahren stand da 40. Mein Bauch war schon riesig und du so groß, dass ich bequem Gläser auf meinem Bauch abstellen konnte und Schüsseln voller After Eights, von denen ich nie genug bekommen konnte. Ich war schon ein bisschen ungeduldig, Dich endlich zu sehen, ich war sogar sehr ungeduldig, ungeduldiger als ich war nur Dein Vater, Fanny. Jeden Abend hat er mit Dir geredet. Und jeden Morgen. Manchmal sogar nachts, wenn er gedacht hat, dass ich es nicht höre. Und immer, wenn er in meinen Bauch geflüstert hat, bist Du gehüpft, jedenfalls hat es sich so angefühlt (lustig - heute hüpfst Du noch immer, wenn du dich über etwas freust, Du sagst hops, hops und springst durch die Wohnung, wild und glücklich, hops, hops). Damals haben wir die Tage bis zum Geburtstermin heruntergezählt, jeden Morgen die alte Zahl weggewischt und eine neue hingeschrieben, die 9, die am Ende auf der Tafel stand, als es losging, neun Tage zu früh, habe ich noch Wochen später nicht wegwischen können. Und als ich heute die 1 wiedergefunden habe, unter dem Ketchup und dem Kaffee, die 1, die da irgendwann einmal gestanden haben muss, als Du noch gar nicht auf der Welt warst, 100 und ein paar Tage vor Deiner Geburt, habe ich versucht, mich an die Zeit zu erinnern, als Du noch nicht bei uns warst.
Weißt Du was? Es ist mir wirklich schwer gefallen. Du bist so sehr da, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es tatsächlich mal eine Zeit gab, in der Du nicht da gewesen bist - eine Zeit, als wir zu zweit und nicht zu dritt waren, ein Paar, noch keine Herde. Was mir dann noch eingefallen ist: Es gab nicht einen einzigen Tag mit Dir, den ich nicht geliebt habe. Nicht einen. Es gab anstrengende Tage, Tage, an denen ich vor Überforderung geheult habe, Tage, an denen Du krank warst und wir krank waren, aber nicht krank sein durften, weil Du doch krank warst, Tage, an denen ich schon morgens am liebsten desertiert wäre, weil wir spät dran waren und Du deine Jacke nicht anziehen wolltest und die Schuhe schon gar nicht und Dich auf die Erde geworfen und geschrien hast , Morgende, an denen ich schon vor dem ersten Kaffee dachte, jetzt kracht die ganze Welt zusammen. Manchmal war ich so müde, dass es richtig weh getan hat. Aber selbst an Tagen wie diesen warst da immer noch Du. Selbst an Tagen wie diesen war das Gefühl, das unter allem allem lag, wie ein dicker Teppich, immer Liebe. Seit Du da bist, bin ich ein so viel glücklicherer Mensch, Fanny. Du machst mich so glücklich wie mich noch nie im Leben etwas glücklich gemacht hat (außer vielleicht Dein Papa, aber der wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich Dir das schreibe, ihm geht´s ja genauso).
Es macht mich glücklich, wenn Du auf meinem Schoß sitzst, alle meine Aquarellstifte auf meinem Schreibtisch ausschüttest, nach einem Glas Wasser verlangst und dann anfängst zu malen, fast immer eine Rutsche, manchmal eine Katze, Kreise, Striche, so entschieden, wie man als Erwachsener später nie mehr malt. Hinterher nimmst Du einen Pinsel, tauchst ihn in das Glas und setzt das Blatt und den Schreibtisch unter Wasser, weil ich Dir mal gezeigt habe, dass man die Striche mit Wasser verwischen kann. Es macht mich glücklich, wenn Du Dich mit mir aufs Sofa legst und Dir in meinem Arm ein Buch ansiehst und meine Hand hältst oder Deine Hand in meinen Ärmel schiebst und sie da verknotest und wir einfach daliegen. Manchmal sagst Du Ohhh. Oder Löwe suchen. Oder Oh, nein, Mama, Hund AUA, weil der Hund im Buch vom Fahrrad gefallen ist, und ich wünsche mir, dass wir nie wieder aufstehen müssen und ewig nur einfach daliegen könnten. Es macht mich glücklich, wenn ich einen Kuchen backe und Du Dir ganz aufgeregt den weißen Tritt an den Tresen schiebst und hochkletterst und Fanny auch backen sagst, und Deine Stimme beim auch diesen Glückskiekser nach oben macht, weil Du Dich so freust. Und ich Dir die Packung mit den Eiern gebe, die aufgeschlagen werden müssen, weil ich Dir immer die Eier aufhebe, und Du die Eier nimmst und sie mit Entzücken (und Schale) in die Schüssel knackst. Es macht mich glücklich, wenn Du singst, Du singst noch gar nicht so lange, drei, vier Wochen vielleicht, am liebsten zu Alicia Keys Empire State of Mind, Du liebst dieses Lied, sobald Du es hörst, breitest Du die Arme aus und singst, lalalaaaa, lalalaaaa. Es macht mich glücklich, dass Dein erstes Wort gleich nach Mamapapa Nein lautete, eines der allerwichtigsten Wörter, die es gibt, finde ich, schon gleich für ein Mädchen, mein Gott, wie lange ich gebraucht habe, um mir meine Neins zuzutrauen. Du sagst oft Nein, Fanny, und immer sehr entschieden. Es macht mich glücklich, wenn Du jeden, den Du siehst, begrüßt, während Du hinter mir auf dem Fahrrad sitzst, Hallo Kind sagst oder Hallo Hund, manchmal begrüßt Du auch die Tiere in den Büchern und den Stuhl in der Küche. Wie freundlich Du bist. Und wie mitfühlend. Letzten Sonntag, als es so irre geregnet hat, hast Du meine Hand genommen und bist mit mir ans Fenster gegangen, um Dir mit mir den Regen anzusehen. Oh nein, sagte ich, da wird Dein Papa ja ganz nass, eigentlich hatte ich nur laut gedacht, aber Du warst ganz untröstlich. Oh nein, hast Du gesagt, Papa nass. Dann hast Du Dich vor das Fenster gestellt und gepustet, damit er schnell wieder trocknet, Papa pusten, Mama, Papa pusten, und ich musste auch pusten wie sonst nur, wenn Du Dir weh getan hast. Es macht mich glücklich, Dir dabei zuzusehen, wie Du Dich selbst vergisst, wenn Du malst, spielst, tanzt, völlig versunken in das, was Du tust. Es macht mich glücklich, Dir beim Rennen zuzusehen, wie Du einfach losrennst, wenn Dir danach ist, in diesem Wahnsinnstempo, das man so einem kleinen Körper gar nicht zutraut, nur, weil Du rennen magst, das Rennen magst. Es macht mich glücklich, wenn du auch ein Handtuch zusammenlegen willst, während ich die Wäsche mache, und wie Du dann dieses Handtuch nimmst und haargenau so ausschüttelst wie ich es immer mache (irre, was Du alles nachmachst und wie genau du es nachmachst, Fanny, manche Dinge an mir fallen mir erst auf, wenn ich sehe, wie Du sie nachmachst, gestern hast Du zu Deiner Puppe Naaa, Süße? gesagt wie ich es manchmal zu Dir sage, ich konnte noch ein halbe Stunde später nicht aufhören zu grinsen). Es macht mich glücklich, dass Du eine Quatschmacherin bist. Es macht mich glücklich, wie Du Dir meine Ringe klaust und sie anziehst und sagst, dass es jetzt Deine sind. Es macht mich glücklich, wie Du Dich an mich schmiegst, wenn Du müde bist oder Dich verstecken willst, wenn wir Besuch haben oder Du jemanden noch nicht so gut kennst. Du hast ja keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn sich so ein kleiner Kinderkopf in deine Halskuhle schmiegt, jeden Zentimeter ausfüllend, Fännchen. Es macht mich glücklich, das Trappeln zu hören, wenn Du nach dem Mittagsschlaf den Flur hinunter läufst, dein Kinderfußtrommelwirbel, trapp, trapp, trapp. Und Dein Gesicht direkt nach dem Aufwachen, die Haare in alle Richtungen abstehend, die Backe noch ein bisschen rot vom Kissen und ganz warm. Es macht mich glücklich, Dir beim Schlafen zuzusehen, in Deinem lila Schlafanzug mit den weißen Streifen, der noch ein kleines bisschen zu groß ist. Und glücklich, dass ich immer weiß, ob Du tief schläfst oder gleich aufwachst, ob Du gut träumst oder schlecht, weil ich Deinen Atem auswendig kenne, Fanny. Es macht mich glücklich, einen Strich an den Türrahmen zu malen und das Datum daneben zu schreiben, in den letzten vier Wochen bist Du zwei Zentimeter gewachsen. Und wie ich gleich nach dem Strich über Deinem Kopf auch einen Strich für Teddy an den Türrahmen malen musste, weil Du darauf bestanden hast, dass auch Teddy vermessen wird. Es macht mich glücklich, wenn ich Dich vom Kindergarten abhole und Du mit weit ausgestreckten Armen in meine rennst, Dich reinfallen lässt in mich. Es macht mich glücklich, mit Dir eine Höhle zu bauen und in der Höhle zu liegen und im Licht der Hasenlampe die Cupcakes zu futtern, die wir freitags nach der Kita manchmal kaufen, Schokolade mit Smarties für Dich, Mokka oder Snickers für mich. Glücklich, glücklich, glücklich.
Das wollte ich Dir heute eigentlich nur sagen. Die Welt ist soviel schöner mit Dir. Heute bist Du genau 100 Wochen oder 700 Tage alt. Ich habe jeden davon geliebt, mein Fännchen, auch die, die ich nicht geliebt habe.
Es küsst Dich,
Deine Mami