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BOYHOOD




Zehn Tage ist es jetzt her, dass ich Boyhood gesehen habe. Und immer noch schieben sich Bilder aus dem Film in meinen Nichtfilmalltag, muss ich lächeln, weil wieder eine Erinnerung hochkommt, rumort ein gar nicht so böse gemeinter Satz in mir, als wäre er meinem Leben passiert. Ich bin im Kino nie ein wahnsinnig analytischer Mensch gewesen, aber so nahe wie Boyhood ist mir selten ein Film gegangen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er ein großartiger, warmherziger, virtuos geschriebener und gespielter Film ist – aber dass er sich so verhakt, liegt wahrscheinlich eher daran, dass er auch ein Nicht-Film ist, dass man, während man im Kinosessel sitzt und der Freundin ins Ohr flüstert, dass dieser Film bitte nie zu Ende gehen darf, auch dem Leben selbst zusieht.

Dem Älterwerden, Größerwerden, Erwachsenwerden, Anderswerden, noch Älterwerden, dem Wachsen an der Zeit, dem Verletztwerden durch die Zeit. Die Schauspieler, die das so toll spielen, werden im Verlauf der gut zweieinhalb Stunden, die Boyhood dauert, ja tatsächlich zwölf Jahre älter. Aus einem sechsjährigen Jungen wird ein 18-Jähriger, der von zu Hause auszieht. Aus seiner achtjährigen Schwester eine junge Frau. Aus einer jungen Mutter eine geschiedene Frau, der die Liebe zwar weh getan hat, die aber trotzdem entschieden weiterliebt. Aus einem jungen, sich gegen das Solidesein wehrenden Vater einer, der doch noch die Kurve kriegt. Dieses Älter- und Anderswerden ist es, was an Richard Linklaters Film nicht nur Film, sondern Leben ist. Was einem sofort alle möglichen Fragen in den Kopf und ins Herz treibt: Wie wird mein Kind sein, in zwölf Jahren? Wie werde ich sein, in zwölf Jahren? Wie kann die Zeit bloß so schnell vergehen? Wo ist die Pausetaste, wenn man sie braucht? Wie kriegt man es hin, sich nicht kleinkriegen zu lassen? Und wie schafft man es, den Moment öfter mal im Moment zu sehen, statt später, hinterher, beim Zurückschauen?

Was ich auch mochte: Wie ernst Linklater die Kindheit und Zeit als Teenager nimmt. Mit welcher Wärme und Genauigkeit er sie betrachtet. Die Verzweiflung darüber, dass die eigenen Eltern einen so wenig verstehen. Das Erstaunen, wenn die eigenen Eltern einen wirklich verstehen. Die Verbundenheit zu Geschwistern, die man manchmal zum Mond schießen könnte. Die Frustration darüber, jemand zu sein, für den Entscheidungen getroffen werden (selten die, die man selbst getroffen hätte). Die Grausamkeit, dem Leben der Eltern hinterher ziehen zu müssen, in eine neue Stadt, eine neue Schule, eine neue Nachbarschaft. Der Augenblick, in dem man weiß: Jetzt hat man sich verknallt, zum ersten Mal, so richtig. Der Augenblick, in dem man weiß: Das war es jetzt mit der ersten Liebe, für immer war nicht für ewig. Die Wut auf sich selbst und das verdammte Unvermögen, die Dinge so auszusprechen, wie man sie fühlt und denkt. Die Aufregung, wenn man etwas gefunden hat, das man wirklich gerne tut, wirklich liebt.

Am Ende dann dieser Moment, in dem man diesem Jungen und seiner Mutter zusieht und beiden so gut nachfühlen kann. Da ist der Junge, der erwachsen geworden ist und von zu Hause auszieht (ich erinnere mich noch so gut an den Tag, als ich mit meinem Bruder in eine WG zog, die Tür zur neuen Wohnung öffnete, unserer eigenen Wohnung, Tag eins einer neuen Zeitrechnung). Und die Mutter, die am Küchentisch sitzt und nicht weinen will, aber auch nicht nicht weinen kann, während sie ihrem Kind, das ein Erwachsener geworden ist, beim Packen zusieht, bis es sich umdreht und geht (ich möchte mir diesen Tag lieber nicht vorstellen).

Es ist vielleicht das Einzige, das ich an Boyhood schrecklich fand. Dass er dann doch zu Ende ging.