FÜNF, DIE MICH DURCHS LEBEN TRUGEN
Die blauen Docs
Ich kann mich an vieles aus meiner Kindheit erinnern, noch an die kleinsten Anekdoten und viele Gegenstände, aber merkwürdigerweise nicht an einziges Paar Schuhe. Wahrscheinlich, weil die blauen Docs das erste Paar waren, das ich mir ganz alleine kaufte, ohne dabei irgendwelche Konzessionen zu machen. Es war wichtig, dass sie blau waren, nicht schwarz. Es war wichtig, dass meine Eltern sie grauenvoll fanden. Und wichtig, dass mein Freund sie in Dunkelrot trug. Wichtiger als alles andere war allerdings, dass sie ausdrückten, wie ich mich fühlte: anders, sehnsüchtig, oft verloren. Mit diesen Stiefeln konnte ich mir Mut anziehen. Auch wenn außer mir niemand all das in ihnen sehen konnte.
Die cremeweißen Chucks
Ich habe mich so danach gesehnt, das Abi hinter mir zu haben, und als ich es dann endlich hatte, wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich hatte beschlossen, doch keine Geigerin zu werden, aber keine Ahnung, was ich stattdessen machen sollte. Also zog ich mit meinem kleinen Bruder in eine WG und arbeitete für ein Jahr in einem Klamottenladen. So viele Möglichkeiten, so viele Vielleichts. Erstmal Praktikum machen? Oder gleich studieren? Aber was? Hier bleiben? Ganz weit weg gehen? Abstand suchen? Nähe finden? Immerhin wusste ich: Musik hilft. Sehr viel Jamiroquai. Und Tagebuchschreiben. Und cremeweiße Chucks.
Die schwarzen Ballerinas
Ich hatte schon einen Volontariatsvertrag und meine vierte eigene Wohnung, dieses Mal in Hamburg, ich hatte sogar einen Bausparvertrag. So richtig erwachsen fühlte ich mich aber erst in diesen Schuhen. Ballerinas waren für mich der Inbegriff französischer Eleganz und Lässigkeit, und ich wollte unbedingt lässiger, eleganter und französischer sein – weniger sportlich, weniger Kumpel, mehr Frau. So recht zu mir passen wollten sie allerdings noch nicht zu mir. Ich ging komisch in ihnen, als hätten sie riesige Absätze. Aber glücklicherweise erlaubt Mode es einem ja, sich auch all die Frauen anzuziehen, die man (noch) nicht ist. Die Frau zu mögen, die ich bin, gelang mir erst viele Jahre später, aber die schwarzen Ballerinas halfen dabei, es mir bequem zu machen in mir.
Die roten Peeptoes
Bis heute machen mich Schuhe nur selten hysterisch, aber dieses eine Paar musste ich haben. In ihnen fühlte ich mich sexy und unangreifbar. Sie gaben mir das Gefühl, über den Dingen zu schweben (auch wenn ihre Absätze nicht sonderlich hoch waren). Außerdem fand ich sie rasend schön. Das blaustichige Dunkelrot und die Sohle mit den Blüten, die man beim Tragen zwar nicht sah, aber spürte. Ich trug sie nicht oft, immer nur zu besonderen Anlässen. Ich behandelte sie wie ein teures Schmuckstück, sie sollten nicht abnutzen, aber an diesem einen Abend zog ich sie an – dem Abend, als ich mit ihm verabredet war. Es gab gar keinen Anlass, sich aufzubrezeln. Wir waren in einer Kneipe verabredet, eine ganz normale Verabredung unter Freunden, aber irgendetwas flirrte, ich war schon Stunden vorher nervös. Wie nervös ich wohl erst gewesen wäre, hätte ich gewusst, dass wir uns in dieser Nacht zum ersten Mal küssten.
Die weißen Turnschuhe
Heute habe ich zwei Arten von Schuhen in meinem Schrank: Laute und leise. Die lauten sind jetzt auch keine Schreihälse, aber kleine Ausrufezeichen; Schuhe, mit denen ich mich bereit mache, für den Sommer, für einen aufregenden Abend, für ein Fest, für einen schwierigen Tag. Meine goldenen Boots sind solche Schuhe. Oder meine schwarzen Sandalen aus Paris. Schickmacher, Ausgeher, Draufgänger. Mit den leisen laufe ich durch die anderen Tage, am liebsten in meinen weißen Turnschuhen. Sie sind weich, aber man hat einen festen Gang in ihnen und kann weit rennen, wenn es nötig ist. Sie sind schlicht, aber nicht langweilig. Und extrem tolerant, denn zu Jeans passen sie genauso wie zu dem einen Kleid, das ich gerade gerne trage.