SIND WIR ES WERT, GELIEBT ZU WERDEN? GEDANKEN VON LIFE-COACH LEA VOGEL
Wenn ich eine Sache in dieser Welt ändern dürfte, dann wäre es die Art, wie wir Menschen zu uns selbst stehen. Ich wünschte, wir könnten uns selbst als die liebevollen Wesen sehen, die wir sind. Ich wünschte, wir könnten es in unseren Herzen speichern, um darauf zurückzugreifen, wenn wir uns niederschmetternd einsam fühlen und Gefühle wie Scham und Selbstablehnung in uns aufsteigen.
In einer Welt der Selbstoptimierung ist es nicht immer einfach, über Melancholie, Selbstablehnung und Einsamkeit zu sprechen. Es sei denn, diese Erfahrung liegt schon hinter uns und wir ernten bereits die dicken Früchte des Lebens nach der Krise. Aber so linear ist das Leben nicht. Es ist viel eher ein Prozess mit einer Vielfalt an Gefühlen und Erlebnissen – und ganz egal, wie fortgeschritten wir schon auf unserem Weg sind, es kann immer wieder Momente des markerschütternden Zweifelns geben, des Traurigseins, des Sich-selbst-nicht-Mögens. Denn wir sind Menschen und aus diesem Grund dazu in der Lage, das ganze Spektrum an Emotionen zu erfahren – weswegen wir die ganze Palette eben auch durchfühlen. Manche von uns mehr, manche weniger. Aber wir fühlen sie. Aus diesem Grund glauben wir manchmal, wir gingen auf unserem Weg drei Schritte vor und zwei zurück, wieder vier Schritte vor und fünf zurück. Jap, Hand aufs Herz, manchmal ist das anstrengend. Und das ist okay, denn das ist Leben. Die entscheidende Frage ist: Mit welchen Augen betrachten wir uns dabei? Mit den Augen der alten Wunden aus Enttäuschungen, Trennungen, Niederlagen und Zweifeln? Oder mit den Augen eines offenen, starken, weichen und flexiblen Herzens?
Wir sind nicht allein
Früher habe ich gedacht, dass ich damit alleine bin. Mit der Art, wie ich über mich sprach und über mich dachte. Eine lange Zeit in meinem Leben habe ich kein allzu gutes Wort über mich verloren. Ich hab mich bei Fehlern beschimpft, mich für mich selbst geschämt, mir Druck gemacht und mich in meinem Leistungsbestreben perfektioniert, um einen Grund zu finden, Anerkennung zu bekommen und es wert zu sein. Um meinen Platz zu finden in einer Welt, in der jeder einen Platz verdient zu haben schien – bis auf mich. Im Inneren fühlte ich mich oft so unendlich leer, weswegen ich meine Liebe aus dem Außen ziehen musste – manchmal wünschte ich, ich hätte damals gewusst, was ich heute weiß, aber:
Kurzum: All das war mir währenddessen nicht immer bewusst. Zwar hielt ich mich für recht reflektiert, aber ich glaubte ebenfalls mit Sicherheit zu wissen, dass die Quelle meines Glücks irgendwo da draußen liegen musste und dass es meine unausgesprochene erste Priorität war, Menschen zufrieden zustellen, ihre Erwartungen zu erfüllen und für Harmonie in meinem Umfeld zu sorgen.
Als wäre das nicht genug, habe ich mich ständig verglichen. Himmel, habe ich mich oft V E R G L I C H E N. Dass das anstrengend war, muss ich wahrscheinlich nicht erwähnen. Dass ich dabei mehr im Außen war als auf meine innere Stimme zu hören, ist nur eine logische Konsequenz. Zu dieser Zeit fühlte ich mich ganz schön einsam. Manchmal habe ich auf ein Wunder gehofft, um mich mit mir und allem um mich herum besser zu fühlen. Aber wie das manchmal so ist, gab mir die Welt nicht das, was ich wollte. Sie gab mir das, was ich brauchte: ein riesengroßes Lernfeld.
Diese Zeit gehört definitiv nicht zu meinen Favoriten. Und noch heute spüre ich Scham in mir aufsteigen, wenn ich detailliert davon berichte. Aber diese dunklen Zeiten führten dazu, dass ich genauer hinsehen musste. In mein Inneres. Auf die Welt. Auf uns Menschen und die Sinnhaftigkeit unseres Seins. Auf das, was uns ausmacht. Auf das, was uns niederschmettert. Auf Verletzung und Heilung. Auf unseren unerschütterlichen Wert, den jeder von uns – und ich meine wirklich jeder – in sich selbst trägt. Und natürlich landete ich bei den Fragen: Was brauchen wir Menschen, um glücklich zu sein? Und was ist eigentlich dieses Selbst, dessen Wert wir so häufig anzweifeln? Und: Gibt es vielleicht eine bessere Art, mit all dem menschlichen Wirrwarr umzugehen?
Aus diesen Fragen ergab sich eine Mission, und aus der Mission ergaben sich ein Studium und ein Job. Und wahrscheinlich eine lebenslange innere Forschungsreise, die ich jeden Tag mit purer Neugier und Faszination antrete. Ich arbeite nun seit fünf Jahren mit Menschen zusammen. Tagein, tagaus. Natürlich kommen die wenigsten Menschen zu mir, weil es ihnen gerade großartig geht und sie bloß ein neues Hobby suchen. Die meisten Menschen bringen ein Thema mit, ein Muster, das ihnen das Leben erschwert und auf ihre Lebensqualität drückt. Das muss nicht immer dramatisch sein, aber hey, es ist eben auch nicht so gut, wie es sein könnte.
Je mehr ich mich mit Menschen beschäftigt habe, desto mehr habe ich gesehen: Die allermeisten von uns wissen, dass ein großer Teil ihrer Probleme an einem geringen Selbstwertgefühl hängt. Sie wissen, dass es gut täte, sich selbst mehr zu lieben und zu achten. Und da ist sie wieder, die Frage: Wer oder was ist denn eigentlich dieses Selbst, das es zu lieben und zu achten gilt? Und warum ist das so verdammt schwierig? Warum begreift unser Kopf schon lange, dass wir uns akzeptieren müssen, um glücklich zu sein und warum gibt es dennoch, tief in unserem Bauch, dieses brennende Gefühl der Wertlosigkeit, das einfach nicht so richtig weggehen möchte?
Ein Blick auf ein Schicksal
Wie viel Schmerz darunter verborgen liegt, wenn wir uns selbst ablehnen und wie wenig ich mit meinen damaligen Gedanken allein war, hat mir kürzlich die Zusammenarbeit mit einer Klientin, nennen wir sie Nina, in Erinnerung gerufen. Nachdem Nina ihre erste wunderschöne Tochter geboren hatte, kam sie zu mir in die Sitzung. Immer, wenn sie von ihrer Tochter sprach, strahlte sie, und ich hatte den Eindruck, dass sie den gesamten Raum durchflutete. Ich habe wirklich gern mit ihr zusammen gearbeitet, weil sie eine sehr liebevolle Person ist. Sie erzählte mir von ihren Herausforderungen als Mutter und ihrer Unsicherheit, die sich immer wieder an sie ranhing – dem Thema, weswegen sie eigentlich bei mir war. Eines Tages berichtete sie mir von einem Tag am See. Ihre Tochter wollte so gerne das Wasser erkunden, doch Nina spürte, wie sie ein kalter Schauer besuchte, wenn sie nur daran dachte, in ihrem Badeanzug zum Wasser zu laufen. Sie wünschte sich nichts sehnsuchtsvoller, als für ihre Tochter da zu sein, aber es gab einen Teil in ihr, der sich so geschämt hat. Für die Dellen, die Streifen, die Beine – ja, eigentlich für alles an ihr. Plötzlich sah sie in ihren Beinen den Grund dafür, dass sie alleinerziehend war. Dass der Vater ihrer Tochter sie verlassen hatte. Dass sie gescheitert war und vermutlich auch weiter scheitern würde. Der Weg vom Strandtuch zum Wasser sollte der Beweis ihres zweitklassigen Daseins sein. Eine öffentliche Zurschaustellung ihrer Schwäche.
Sie wollte nicht so schwach sein, sie wollte über den Dingen stehen – für sich und für ihre Tochter. Sie fand sich nicht nur schrecklich und lehnte ihren Körper ab, sie bestrafte sich zusätzlich noch für ihre angebliche Oberflächlichkeit, weil sie es mit knapp 40 doch besser wissen müsste. Sie sei doch kein Teenie mehr und müsste eigentlich einen Scheiss auf den ganzen Körperkult geben. Sie dachte, sie sei lange durch mit diesem Thema. Sie wünschte sich nichts mehr, als ihrer Tochter ein Vorbild zu sein. Und sie versuchte wieder, sich zusammenzureißen. Aber genau an diesem Tag, an diesem einen Tag am See, da ging es nicht. Sie schämte sich so sehr für sich, und die Tränen liefen ihr an den Wangen hinunter. An diesem Punkt fühlte sie einfach, was sie fühlte: die pure Kraft der dunklen Wolke über sich – auch wenn sie sich noch so gut zusprach. Das Gefühl der Scham und der Selbstabwertung waren so stark, dass sie es kaum ertragen konnte.
Normalerweise griff an dieser Stelle ein anderer Teil in ihr ein – ein Anteil, den man vielleicht ihren inneren Manager nennen könnte. Jener Teil in ihr, der dafür sorgte, dass sie alles im Griff hatte. Dass alles läuft und sich niemand um sie sorgen muss. Ein Teil, der ihr freundlich und bestimmt sagte: Es gibt jetzt keine Zeit für Scham, reiß dich bitte zusammen, deine Tochter wartet. Doch in diesem Moment übernahm ihr innerer verletzter Anteil das Ruder und legte alles lahm. Auf diese Weise war sie in Kontakt mit ihrem Schmerz. Natürlich war der Moment äußerst ungeeignet. Thank you timing. Aber genau dort am See kam der Schmerz auch nicht allein. Er kam in Begleitung einer kraftvollen Quelle. Und diese Quelle nennt sich Heilung. Doch um ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen und aus ihr zu schöpfen, musste sie zuerst den Schmerz willkommen heißen.
Es ist das Herz, das blockiert ist
Als ich ihr zuhörte, war ich zutiefst berührt. Ich hatte Mitleid, weil ich an meinen eigenen Schmerz erinnert wurde. Und Mitgefühl, weil ich sehen konnte, was ihr in dem Moment nicht möglich war: Wie schön eine Seele sein kann, die so authentisch und mutig ihren inneren Ängsten begegnet und sich auf die Reise zu sich selbst macht.
Und ich wusste gleichzeitig, dass es ihr keinerlei Linderung gäbe, wenn wir uns daran erinnerten, dass es ihrer Tochter völlig egal war, wie sie aussah. Und dass die Gesellschaft sich um ihre Sachen kümmern sollte. Und dass ziemlich sicher sowieso niemand zugeschaut hatte. Denn all das wusste ihr Kopf ohnehin schon.
Das sich aus vielen Gründen zurückgezogen hatte – auch, um stärker sein zu können und nicht an alte Wunden erinnert zu werden. Aber: Um zu heilen, müssen wir den Schmerz willkommen heißen. Ihm einen Tee und einen Sessel anbieten und bereit sein, zuzuhören. Erst wenn wir das machen – mit jeder Pore unseres Seins, erst dann können wir innerlich heilen und unsere Selbstliebe zurückerobern. Und genau das taten wir. Zusammen und Stück für Stück.
Schicht für Schicht
Wenn der Schmerz erkennt, dass er willkommen ist und sich seinen Platz nicht tückisch mitten am See erschleichen muss, wird er mit der Zeit ruhiger. Er fühlt sich verstanden und muss nicht mehr so zwanghaft auf sein Recht beharren. Vielleicht geht er niemals ganz weg, sondern hinterlässt eine kleine Erinnerung. Doch je mehr Schichten von Prägungen und Verletzungen wir anschauen und auflösen, desto näher kommen wir an das heran, was ich mir unter dem Selbst vorstelle. Unseren inneren Wesenskern, der so unerschütterlich voller Liebe ist. Für andere und für uns. Dieses Selbst findet tausende Beschreibungen und Namen – je nach psychologischer Schule oder Religion, die man befragt. Für mich ist es ganz einfach dieses Gefühl der Balance, der Zustand des Selbstbestimmtseins und des mit sich im Reinen seins, der es am ehesten beschreibt. Es geht nicht um Friedefreudeeierkuchen, Egoismus oder gar Narzissmus. Es geht um das tiefe Verinnerlichen, dass uns nichts fehlt, um gut zu sein. Oder um ganz zu sein. Um liebenswert zu sein. Es geht um das sich Selbst halten können in schlechten Zeiten und um ein für sich Dasein, wenn wir es brauchen. Denn du und ich und wir alle sind es wert, geliebt zu werden. Auch – und vor allem – von uns selbst.
Lea Vogel ist Coach in Berlin. Ihre Website findet ihr hier. Ihren Newsletter könnt ihr hier abonnieren, ihren Podcast hier anhören. Die anderen Folgen dieser Reihe könnt ihr hier nachlesen.
Disclaimer: Dieser Post enthält werbliche Inhalte, weil darin Marken genannt und verlinkt werden und vor dem Gesetz somit als Werbung gelten. Produkt- und Markennennungen sowie das Setzen von Links erfolgen hier auf Slomo aufgrund persönlicher Empfehlung und entsprechend der redaktionellen Themenauswahl. Sie sind ein kostenloser Service der Redaktion.