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DAS LEBEN AUFHEBEN: ÜBER MEMORY KEEPING UND DAS ANFERTIGEN VON ERINNERUNGSBÜCHERN

Eines der Dinge, die ich an Instagram mag: Immer wieder Menschen zu entdecken, die Dinge denken, machen, schreiben, auf die ich selbst nie kommen würde. Einer dieser Menschen ist Nadine, die unter dem Namen @loves_paper die Alben dokumentiert, die sie anlegt. Über das jeweilige Jahr, über ihre Kinder, über Details, die ihr aufgefallen sind. Was für eine tolle Idee, denke ich jedes Mal, wenn ich wieder eines ihrer Bilder sehe. Und wie gerne ich das auch machen würde. Deshalb habe ich mir für 2019 nicht nur das Jahrbuch von Gretas Schwester bestellt (schaut euch auf ihrem Feed mal das Video ihres Jahrbuchs 2018 an, ist das bitte toll?!), sondern Nadine auch ein paar Fragen zum Anfertigen von Erinnerungsbüchern gestellt. Hier sind ihre Antworten.

Liebe Nadine, bevor ich mit meinen Fragen loslege, erzähl doch mal, wer du bist und was du machst...

Ich bin 37 Jahre alt, lebe mit meinem Mann und unseren beiden Kindern in Köln. Ich arbeite für eine Versicherung, aber wann immer es meine Zeit zulässt, stehe ich an meinem Schreibtisch und versuche, mich kreativ zu betätigen – meist in Form des memory keepings, also des Festhaltens von Erinnerungen. Ich bin am liebsten zu Hause, mit den Menschen, die ich liebe. Ich brauche zweimal am Tag meinen Tee für die Seele (Assam, mit Milch und Zucker). Ich versuche so plastikfrei, wie es geht, zu leben (mein Arbeitszimmer ist jedoch meine Achillesferse…). Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich den Frühling mehr mag, wenn die Kirschen blühen, oder den Herbst, wenn die Blätter sich verfärben und der Regen prasselt, und man einen Grund hat, drinnen zu bleiben. Und eine dritte Tasse Tee zu trinken. In erster Linie sind es diese kleinen Momente, die von mir festgehalten werden wollen und sich in einem meiner Alben wiederfinden.

Nadine (@loves_paper)

Ich folge dir schon länger auf Instagram und bin immer ganz fasziniert von den kleinen Büchern, die du über dein Leben anfertigst. Wann hast du damit begonnen – und wie kam es dazu?

Mit dem sogenannten memory keeping habe ich 2011 angefangen, nach der Geburt unserer Tochter. Meine Mutter starb, als ich 24 war, und ich wollte für meine Tochter so viele Erinnerungen wie möglich festhalten, damit sie später einmal nicht darauf angewiesen ist, dass ich da bin, um ihr alles zu erzählen (was natürlich hoffentlich der Fall sein wird). Der Großteil meiner Alben dokumentiert das Leben meiner Kinder, sie sind wie eine Art Liebesbrief an sie. Ich wünschte so sehr, ich hätte mehr handschriftliche Erinnerungen meiner Mutter. Das, was mir fehlt, möchte ich für meine Kinder schaffen.

Wieviele solcher Bücher hast du seither gemacht?

Wenn ich schätzen müsste, an die 100 wahrscheinlich… Aber die meisten sind sehr klein. Mein Mann fragt oft, wohin damit, aber darüber lasse ich nicht mit mir verhandeln. Meine Kinder nehmen sich fast täglich ihre Alben aus dem Regal, schauen sich die Bilder an und meine Tochter beginnt nun zu lesen, was ich geschrieben habe. Die Alben sind keine Staubfänger im Regal, sondern Teil unseres Alltags, das macht mich sehr glücklich. Die Alben, die ich 2018 gemacht habe, habe ich neulich tatsächlich gezählt: Es waren 14. 

Haben diese Bücher einen speziellen Namen?

Der Oberbegriff hierzu lautet scrapbooking, wobei ich mich im Laufe der Jahre auf zwei spezielle Formen konzentriert habe. Zum einen die mini books – kleine, abgeschlossene Alben, die jeweils ein bestimmtes Thema behandeln (Urlaub, die Weihnachtszeit oder die Einschulung, zum Beispiel). Zum anderen die sogenannten pocket pages: Das sind spezielle Hüllen für Fotos und Karten. So dokumentiere ich Woche um Woche für meine Kinder. Ich mache jeden Tag ein Foto von ihnen und schreibe auf die Karten, was sie erlebt haben, stecke alles in die Hüllen und fertig.

Wie beginnt man damit, solche Bücher anzulegen? Wie hast du dir das beigebracht? 

Da ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin, habe ich 2011 einfach angefangen. Ich habe mir unglaublich viel Material bestellt und losgelegt. Mittlerweile weiß ich, was ich wirklich brauche, was für mich funktioniert und was nicht. Es gibt so viele unterschiedliche Projekte, die ich über das Jahr mache, dass die Vorgehensweise tatsächlich immer eine andere ist. Zum Beispiel die pocket pages: Jeden Abend nehme ich mir ein paar Minuten, um mir Notizen über den Tag zu machen und schaue auf meinem Handy, was für Fotos ich für diesen Tag nutzen will (je eines für meinen Sohn, eines für meine Tochter). Die bearbeite ich gegebenenfalls kurz am Handy und schiebe sie in einen Ordner. Ein bis zweimal im Monat drucke ich die Fotos. Und wann immer ich mal Zeit habe, an diesen Alben zu arbeiten, weiß ich, alles ist da: meine Notizen und die Fotos. Dann füge ich alles zusammen (das kann auch erst zwei Jahre später der Fall sein). Anders bei den Mini-Alben. Da ich hier meist ein gewisses Ereignis verarbeite, versuche ich das Album sehr zeitnah fertigzustellen, da es mir hier auf die kleinen Details ankommt. Ich überlege mir vorher, welches Albumformat ich nutzen möchte (um zu wissen ob ich hochkant oder quer fotografieren muss) und stelle mir meine Materialien zusammen. 

Gibt es Vorlagen, die man sich kaufen kann? Ich habe solche kleinen Ringbücher bislang noch nie irgendwo gesehen...

Man kann sich in der Tat alles kaufen – fertige Alben in diversen Größen (meist jedoch amerikanische Maße und Lochung) oder man kauft sich einfach ein paar Buchbinderinge und gestaltet sich sein Album selbst. Es muss also nicht immer viel investiert werden. So ist man auch flexibler, was das Format betrifft.

Was für Materialien benutzt du und wo bekommst du sie?

Ich weiß mittlerweile, was für mich funktioniert: Papier, Stempel und Sticker. Viel mehr brauche ich gar nicht. Ich habe anfangs viel in Deutschland bestellt (z.B. bei der Scrapbook Werkstatt, Papierprojekt oder Dani Peuß), habe aber irgendwann gemerkt, dass ich jemand bin, der am besten mit bereits zusammengestellten Kits arbeiten kann. Ich beziehe mittlerweile monatliche Kits von Kelly Purkey Shop, Ali Edwards und Studio Calico. Ich bemühe mich sehr, die Materialien, die mit den Kits kommen, so weit es geht aufzubrauchen, ehe das neue Kit kommt, was mir auch ganz gut gelingt. Was übrig bleibt, wird später aufgebraucht oder an meine Tochter weitergereicht – sie gestaltet mittlerweile auch schon eigene kleine Alben.

Ich stelle mir die Arbeit an so einem Buch sehr zeitaufwendig vor. Wann arbeitest du an ihnen? 

Natürlich ist es zeitaufwendig, aber so ein Album entsteht selten in einem Rutsch. Es gibt Tage, da habe ich viel (Frei)Zeit und Phasen, da habe ich wochenlang keine Zeit, an den Alben zu arbeiten. Im Schnitt sind es wahrscheinlich 30 bis 45 Minuten am Tag, die ich in die Alben investiere.

Ich habe diesen Sommer ein London-Tagebuch mit Fanny gezeichnet und war hinterher ganz erstaunt, wieviel Spaß uns das gemacht hat. Sich an bestimmte Momente zu erinnern, sie aufzuheben und später wieder aufschlagen zu können. Wie ist das bei dir: Geht es mehr um das Anfertigen an sich oder um die Erinnerungen, die du aufheben möchtest? Oder gibt dir das Zusammenstellen dieser Bücher noch etwas ganz anderes? 

Ich genieße das Zusammenstellen der Alben sehr. Es ist mein Hobby, es ist die Zeit am Schreibtisch, mit einer Tasse Tee, es ist meine Insel. Aber die Hauptintention bleibt das Festhalten von Momenten, um sich später an sie zu erinnern. Ich werde auch in 30 Jahren noch wissen, dass meine Tochter 2017 eingeschult wurde, aber diese kleinen Details, was in ihrer Schultüte war, worüber sie sich am meisten gefreut hat, welche Sorgen und Fragen sie hatte, wie aufgeregt sie war und wie der Tag für mich war, diese Erinnerungen holen wir uns zurück, indem wir uns die Alben anschauen. 

Bei vielen Menschen wird die Erinnerung mittlerweile an Plattformen wie Instagram oder Facebook ausgelagert. Die Feeds dort sind so etwas Ähnliches wie eine Chronik des eigenen Lebens. Beginnt man sich besser oder anders zu erinnern, wenn man aus seinen Erlebnissen, Gedanken und Erfahrungen einen Gegenstand macht? 

Ich glaube, das hängt davon ab, was für ein Typ man ist. Ich bin durch und durch analog. Ich bin so froh, wenn die Fotos entwickelt auf meinem Schreibtisch liegen und ich sie anfassen, sie verarbeiten kann. Alles, was ich am Computer machen muss, ist mir ein Graus. Und ich finde es wundervoll, dass meine Kinder die Alben aus dem Regal nehmen und sich damit aufs Sofa kuscheln. Hätte ich all diese Erinnerungen nur digital, würden meine Kinder, jetzt, wo sie noch klein sind, nicht die Möglichkeit haben, in den Erinnerungen zu stöbern. Grundsätzlich ist aber jede Form der Erinnerung wertvoll. Und für die, die es ausschließlich digital handhaben, nicht weniger intensiv als für mich. Es muss halt für jeden passen.

Hebt man sich andere Dinge auf, wenn man seine Erinnerungsspuren nicht für eine Öffentlichkeit anlegt? 

Es hat, glaube ich, weniger damit zu tun, Dinge nicht in der Öffentlichkeit teilen zu wollen. Ich hebe Dinge auf, um sie in mein Album zu packen. Ich würde nicht unbedingt eine Visitenkarte mitnehmen oder einen Kaufbeleg aufbewahren, wenn ich meinen Urlaub ausschließlich auf Instagram dokumentiere oder ein digitales Fotoalbum erstelle. Diese Kleinigkeiten machen aber am Ende mein Album rund. Es ist übrigens auch eine tolle Möglichkeit, die Kunstwerke der Kinder nicht in Kisten zu packen. Die schönsten Bilder, die sie mir Woche für Woche malen, kommen in ihr Album. 

Deine Bücher erinnern mich manchmal an die Skizzenbücher früherer Zeiten, als Reisende das, was sie zu sehen bekamen, zeichneten – es gab ja noch keine Digitalkameras. Sind deine Bücher eine Wiederbelebung einer aussterbenden Kunstform? Bringen sie dich dazu, genauer hinzusehen und achtsamer wahrzunehmen?

Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass es die Wiederbelebung einer aussterbenden Kunstform ist, aber ja: Ich bin sehr viel achtsamer, seit ich unser Leben in dieser Form dokumentiere. Und nicht nur bei den großen Ereignissen. Gerade im Alltag entstehen die schönsten und wertvollsten Alben. Mein Lieblingsalbum aus dem letzten Jahr war mein Details-Mini-Book. Ich habe versucht, jede Woche ein kleines Detail aus meinem Leben zu dokumentieren. Welche Kaffeesorte trinke ich gerade, was sehe ich, wenn ich nach oben schaue, ist das Glas gerade halb voll oder halb leer, was ist diese eine Sache, die mich gerade am meisten beschäftigt. Ich habe mir dieses Projekt auch für 2019 vorgenommen, und mir dafür eine Liste mit Ideen/Themen erstellt, die mich inspirieren sollen, auf gewisse Aspekte in meinem Leben zu achten. Vielleicht mögt ihr ja mitmachen? 

Nadines Liste für Themen und Ideen 2019

Danke, liebe Nadine.

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