Liebe Fanny,
genau jetzt, in dieser Minute wirst Du ein Jahr alt. Ich
erinnere mich noch so gut. Wie stürmisch es war in dieser Nacht. Wie wir noch
spazieren gingen und anhielten alle zwei Minuten, und lachten, wenn das noch
ging, und mit Dir sprachen, Fännchen, jetzt kommt du wirklich, nicht
mehr lang. Wie die Hebamme sagte: Da ist sie, schau doch nur, und ich es nicht
glauben konnte, bis ich Deinen Papa sah und seinen Blick. Du hättest diesen
Blick sehen müssen, Fanny, überwältigt vor Liebe, hingerissen von Dir, vom
allerersten Moment an. Und wie Du mir dann auf den Bauch gelegt wurdest, so
winzig, so wunderschön, und ich es endlich glauben konnte, mein kleines
Mädchen. Wie wir die erste Nacht verbrachten, Du auf meinem und auf seinem
Bauch, und ich nicht schlafen konnte, Dich nur ansehen und hören wollte, der
Raum ganz still und Dein Babyatem, ein, aus, ein, aus, was für ein Wunder. Und
die Tage danach, das erste Mal zu dritt. Dein Papa guckt uns an und sagt
Zwei-Frauen-Herde. Manchmal binde ich Dich um meinen Bauch und gehe mit Dir
spazieren und zeige Dir die Welt, guck mal, Fanny, ein Baum, das ist ein Vogel
und das ist die Sonne und Du gurrst. Das erste Mal baden, Du steckst Deinen
Zeigefinger in den Mund und bist erst ganz aufgeregt und dann ganz ruhig. Du
hast seine Nase, seinen Blick, seine Hände und Füße, Mini-Papa-Füße, wie ich
sie liebe. Du hast meine Augen, nur blauer, meine Lippen und dieses Kräuseln
auf der Stirn, wenn Du Dich konzentrierst, haargenau das gleiche Kräuseln wie
ich, Mini-Mama-Stirn, wie ich sie liebe. Dein erstes Lachen. Ich hab noch nie
etwas so Schönes gesehen. Du schläfst wie Dein Papa, nie vor Mitternacht, dafür
gerne bis Mittag. Du redest wie ich, sehr, sehr viel, ahhhh, ohhhh,
ahhhh-ohhhhh. Du lachst und lachst und lachst und gluckst und beißt
in die Nase von Deinem Knisterelefanten und in meine. Plötzlich drehst Du Dich.
Du entdeckst, dass Du Füße hast, Du kannst gar nicht genug bekommen von Deinen
Füßen, Du steckst Dir Deinen großen Zeh in den Mund und prustest vor Glück. Ich
soll auch Deine Zehen essen, Deine Füße küssen und pusten, noch mal, noch mal,
noch mal. Du willst alles essen, jeden Fussel, die Wasserflasche, die Bürste.
Du bekommst Zähne. Du futterst Süßkartoffeln. Du willst Deinen eigenen Löffel haben.
Du KRABBELST. Du spielst verstecken und sagst „DA!“.
Manchmal muss ich mich zusammenreißen, nicht loszuheulen vor
Glück, wenn ich Dir beim Fannysein zusehe, wenn ich sehe, wie Du Dir beide
Daumen gleichzeitig in den Mund steckst, wie Du Dein Spiegelbild küsst, wie Du
lachst, Dein Ganzkörperlachen. Manchmal lachst Du so doll, dass Du umfällst.
Dann lachst Du noch mehr. Wir zeigen Dir den Eiffelturm. Und das Meer. Du
ziehst Dich überall hoch und stehst. Dein Lieblingswort ist Nein, wie ich es
liebe, Dein neineinei, fröhliches, wildes, reiselustiges Vier-Zahn-Kind. Dann
hast Du Baby-Pubertät, Du bist sauer, wenn Du es nicht schaffst, Dir die Socken
auszuziehen. Bist sauer, wenn Du nicht die Schere haben darfst, keine
Fisherman´s Friends essen darfst, die Du aus meiner Tasche gepult hast, Du
willst nicht schlafen, überhaupt nicht. Zwei Tage später ziehst Du Dich überall
hoch und willst nur noch stehen. Du liebst Weißwürste, Du räumst das
Bücherregal aus, Du fischst das Sieb aus der Dusche, Du lachst, wenn im
Fernsehen der Wetterbericht läuft, Du liebst die Freud-Action-Figur und redest
mit ihr, Du hältst das Telefon an Dein Ohr, Du räumst die Spülmaschine aus und
dann wieder ein. Zwischendurch kommst Du und lehnst Dich an, lädst Dich mit
Liebe auf, dann spielst Du weiter. Du bist so groß, dass wir uns schon „Weißt
du noch?“-Geschichten erzählen. Das Großwerden geht so irrsinnig schnell, Du
bist 68, 72, 77 Zentimeter groß. Du hast sieben Zähne. Du wiegst zehn Kilo. Du
läufst am Sofa entlang, Du willst alles alleine machen, gehen, essen, Dich
anziehen, Dich ausziehen. Du versuchst zu gehen, es fehlt nicht mehr viel. Du
hast 27 Kosenamen und jeden Tag noch einen mehr, Fännchen, Fän Fän, Rollmops,
Flöckchen, Speckbacke, Neugierdsnase. Letztes Wochenende, Du bist aufgewacht
und konntest nicht wieder einschlafen, haben wir Dich zu uns aufs Sofa geholt.
Du wolltest aber nicht aufs Sofa, Du wolltest krabbeln und spielen. Und
plötzlich stehst Du da, ohne Dich irgendwo festzuhalten, stehst da, einfach so,
bis Du merkst, dass Du noch gar nicht stehen kannst und Dich wieder hinsetzt.
Und wieder aufstehst und in die Hände klatscht. Ich halte den Atem an und seh
Dir zu. Ich merke, wie eine Träne meine Backe hinunter läuft. So ist das mit
Dir, Fännchen, vor lauter Rührung muss ich andauernd heulen. Seit ein paar
Tagen tanzt Du, und Du tanzt den halben Tag, am liebsten zu Weihnachtsliedern
und Jan Delay, wenn Dir ein Lied im Radio gefällt, drehst Du es lauter,
und dann tanzt Du, drehst den Oberkörper nach links und rechts, Dein Babytanz,
und ich heul schon wieder.
Noch nie in meinem Leben war ich so müde wie in diesem Jahr.
Noch nie in meinem Leben war ich so glücklich wie in diesem
Jahr.
Manchmal kommt es mir vor, als hätte nicht ich Dich, sondern
Du mich geboren. So sehr ich Dich von der allerersten Sekunde an geliebt habe,
so groß war auch die Angst. Wird alles gut gehen? Werde ich eine gute Mutter
sein? Werde ich mein altes Leben vermissen? Und dann bist Du da und alle Fragen
weg, und ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass Du je nicht dagewesen bist.
Ich vermisse Dich schon, wenn ich bloß in den Supermarkt gehe. Ich kann nicht
genug von Dir bekommen, nie. Ich weiß nicht, wie Du das gemacht hast, Fanny,
aber plötzlich hab ich keine Angst mehr, keine Fragezeichen, angekommen, endlich.
Manchmal wünsche ich mir ein zweites Herz für meine Liebe, aber das
würde auch nicht reichen. Nie im Leben.
Happy birthday, Fännchen!
Deine Mama