Letztes Weihnachten machte ich meinem Vater ein wagemutiges Geschenk: einen Krimi. Nicht, dass er sich nicht für Bücher interessiert. Aber er hat sein Leben lang bei der Polizei gearbeitet. Entsprechend sparsam ist sein Interesse daran, sich auch in seiner Freizeit mit Kriminalfällen zu beschäftigen. Oder besser gesagt damit, wie Schriftsteller glauben, dass Polizeiarbeit aussieht. Daran musste ich denken, als ich vor einiger Zeit diesen Artikel über den Realitätsgehalt des sonntagabendlichen "Tatort" las. Und ich dachte an das immer mal vorkommende Stöhnen von Menschen aus meinem Bekanntenkreis über irgendwelche ganz, ganz schlechten Filme, die sie im Fernsehen oder Kino gesehen haben. Schlecht warum? Weil darin völliger Murks über ihren Beruf erzählt wurde. Ulkig. Vergleichbar vehemente Reaktionen bei unrealistisch erzählten Liebesgeschichten kenne ich nämlich nicht. Lässt man sich da williger ins Märchenland entführen statt ab und an empört "Aber so ist das doch gar nicht!" zu rufen? Mein eigener Beruf begegnet mir in Büchern oder Filmen eher selten. Etwas erzählen über das Geschichtenerzählen ähnelt vielleicht zu sehr einem immerfort dem eigenen Schwanz nachjagenden Hund. Manchmal ist es aber auch sehr lustig oder inspirierend. Wie zB in diesem Sketch. Oder in meinen diesmaligen Fünf. Und ihr? Nervt es euch, wenn Geschichten aus der Arbeitswelt komplett ins Unwirkliche abdriften? Oder ist euch das vollkommen schnuppe - Hauptsache, die Geschichte ist gut? Und habt ihr Film- oder Buchempfehlungen zum Thema? Mein Vater fand den Krimi, den ich ihm geschenkt habe, dann übrigens gar nicht schlecht.
EPISODES
Zwei britische Drehbuchautoren schreiben eine preisgekrönte Fernsehserie. Ein begeisterter amerikanischer Fernsehboss lädt die beiden nach Kalifornien ein. Dort sollen sie eine US-Version des Ganzen produzieren. Ein Traum! Ha! Von wegen! Unter den Augen der fassungslosen Autoren wird ihre Serie rund um ein gediegenes Jungeninternat, dessen Direktor und der lesbischen Bibliothekarin in eine Story rund um ein Jungs-Hockey-Team, deren Coach und der nicht lesbischen und ziemlich kurze Röcke tragenden Bibliothekarin geändert. Und der Hauptdarsteller, ein renommierter britischer Shakespeare-Darsteller, gegen eine, nun ja, amerikanische Fernsehgröße ausgetauscht: Matt LeBlanc, der dumpfbackige Joey aus der Kultsitcom "Friends". Nein, das ist nicht die Entstehungsgeschichte einer neuen Fernsehserie. Das IST die Serie selbst. "Episodes" heißt sie. Mit den Worten "Das ist was für Dich" drückte mir eine Freundin die erste Staffel in die Hand. Treffer. Ich hab Tränen gelacht über Schauspielereitelkeiten, Fernsehchef-Schaumschlägereien und den wahr gewordenen Drehbuchautoren-Alptraum, den das britische Pärchen in Kalifornien erlebt. Und über den so genüsslich sich selbst aufs Korn nehmenden Matt LeBlanc.
Hier ist der Trailer.
TAMARA DREWE
Auch Autoren können schrecklich eitel oder verkorkst sein. Weswegen die britische Autorin und Zeichnerin Posy Simmonds sich in ihren Cartoons immer wieder mit spitzem Stift dem literarischen Leben nähert. Ihr schönstes Ergebnis: Der Comic "Tamara Drewe". Und dessen ebenso großartige Verfilmung durch Stephen Frears (bitte ignorier den gruseligen deutschen Filmtitel und die nach Teeniefilm aussehende DVD-Covergestaltung!). Darin betreibt ein erfolgreicher Krimiautor mit seiner Frau auf dem Land ein Refugium für angehende Schriftsteller. Das heißt: Seine Frau schmeißt den Laden. Er schreibt, lässt sich bewundern und geht gerne mal fremd. Als das ehemals hässliche Entlein Tamara Drewe als erfolgreiche Journalistin mit neuer Nase und Rockstar-Freund ins Dorf zurückkehrt, ist es mit der Ruhe auf dem Land vorbei. Wobei der nun losgetretene Liebesreigen nur eine Sache ist, die ich an "Tamara Drewe" sehr mag. Mich rühren die treffend gezeichneten Figuren, wie zB die aus tiefster Teenieseele das Landleben hassende Pubertistin Jody. Und ich seufze wohlig über Sätze, mit denen alles gesagt ist: "Gar nichts wird gut. Ich steh im Rührteig."
Hier ist ihre gezeichnete Kolumne "Literary Life". Und hier die Verfilmung "Immer Drama um Tamara".
MEIN OHR AN DEINEM HERZEN
Ein Mann will Schriftsteller werden. Er schreibt. Unermüdlich. Geschichten. Romane. Er schickt seine Texte an Verlage. Immer wieder. Und bekommt immer nur Absagen. Bis zu seinem Tod gelingt ihm keine Veröffentlichung. Er drängt auch seinen Sohn zu schreiben. Und tatsächlich: Dieser wird Schriftsteller und damit sogar sehr erfolgreich. Der Sohn heißt Hanif Kureishi. In seinem Buch "Mein Ohr an Deinem Herzen" taucht er in die Geschichte seiner Familie ab und beschreibt die Bemühungen seines Vaters, die nicht nur in literarischer Hinsicht bestehenden Konflikte zwischen Vater und Sohn und sein eigenes Werden als Schriftsteller. Das finde ich so anrührend wie sympathisch. Und muss prompt nochmal "Mein wunderbarer Waschsalon" gucken. Kureishi schreibt nämlich auch tolle Drehbücher.
Hier ist ein kurzes Interview mit ihm.
THAT CRAFTY FEELING
Beim Romanschreiben gibt es die Macroplaner, die erst den ganzen Plot festlegen, bevor sie eine einzige Zeile schreiben. Und es gibt die Micromanager, die bei der ersten Seite einfach anfangen und dann schauen, wohin die Geschichte sie führen wird. Sagt die Schriftstellerin Zadie Smith. Sie selbst sei ein Micromanager. Und beschreibt in ihrem Essay "That Crafty Feeling" (den man sich in Teilen hier zusammen mit einem sehr interessanten Gespräch mit der Autorin anhören kann), dass die ersten zwanzig Seiten manchmal Jahre brauchen, bis man den richtigen Ton gefunden hat. Wie man einmal in Schwung gekommen einen magischen Raum betritt. Und wie man am Ende auch wieder loslässt. Smiths Anleitung zum Schreiben klingt so leichtfüßig wie klug, dass man sich ganz ermutigt fühlt, selbst loszulegen. Oder einfach noch einen ihrer Texte aus dem (bisher nur auf Englisch erschienenen) Essayband "Changing My Mind" zu lesen. Und damit die Wartezeit auf ihren im Herbst erscheinenden neuen Roman "NW" (nach sieben Jahren! Wie lange hat sie wohl diesmal für die ersten zwanzig Seiten gebraucht?) verkürzt.
Hier ist Zadie Smiths Lesung und ein Interview mit ihr in der New Yorker Public Library in voller Länger. (Anmerkung von Okka: Und weil ich mal wieder hundert Jahre gebraucht habe, um Kirstens wunderbare Kolumne endlich online zu stellen, ist das Buch in der Zwischenzeit schon erschienen - nicht, dass ihr euch wundert).
SCHRÄGER ALS FIKTION
Und dann gibt es noch die Schreibblockade. Am besten gefällt mir die von Emma Thompson. In diesem Film: "Schräger als Fiktion". Da hört ein langweiliger Steuerprüfer, dessen Leben so staubgrau ist wie seine Anzüge, plötzlich eine Stimme, die offensichtlich sein Leben erzählt. Er stellt fest, dass er nicht verrückt ist, sondern die Hauptfigur in einem Roman. Und die Autorin hat offensichtlich vor, ihn am Ende umzubringen. Nur weiß sie leider noch nicht wie. Hinreißend, wie Emma Thompson verknautscht und ständig rauchend mit ihrem Roman kämpft. Hinreißend, wie Will Ferrell vom Langweiler zu einem wagemutigen Menschen wächst. Hinreißend, dass er sich ausgerechnet Maggie Gyllenhaal als Liebe seines Lebens aussucht. Übers Schreiben lassen sich also wirklich gute Geschichten erzählen...
Hier ist der Trailer.
Kirsten